Der Stellvertreterkrieg in Syrien
Berchtesgaden – Aus aktuellem Anlass hat das Katholische Bildungswerk Berchtesgadener Land e.V. den Nahost-Kenner Stefan Maier zu einem Vortrag über die humanitäre Tragödie in Nahost eingeladen. Maier referierte über Hintergründe und Auswirkungen der Syrienkriese. Ein baldiges Ende des Krieges ist für ihn nicht absehbar.
„Wir haben dieses wichtige Thema in unser Programm genommen um Informationen aus erster Hand zu bekommen“, sagte die Geschäftsführerin des Katholischen Bildungswerkes, Michaela Obermeier. Der Referent, Stefan Maier ist Leiter der Caritas Auslandshilfe in Salzburg und mit Abstand von zwei Monaten fliegt er in die Region. Vor allem im Libanon betreut er Projekte der Salzburger Caritas. „Ich bin als Kind im Nahost aufgewachsen, habe als Schüler ein Hilfsprojekt im Libanon aufgebaut und bin inzwischen 138 Mal in der Region gewesen.“
Maier gibt am Anfang einen Rückblick auf den Arabischen Frühling, der eine Schockwelle in die arabische Welt schickte. In Syrien hatte es, als Assad die Macht von seinem Vater übernommen hatte, die Hoffnung auf Reformen gegeben. Es erfolgte auch gewisse wirtschaftliche Öffnung, aber kein politische. Zwar ging es dem Land relativ gut, mit einer guten medizinischen Basisversorgung und einem relativ gutem Bildungsniveau mit einer geringen Anaphabetisierungsrate. Auch das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Volks- und Religionsgruppen funktionierte. Dennoch verwandelte sich Syrien innerhalb kürzester Zeit zum schlimmsten Kriegsschauplatz der Welt. Wie konnte das so kommen? „Auslöser waren im März 2011 regierungsfeindliche Parolen, die ein paar Schüler an ihre Schule gesprüht hatten.“ Der Geheimdienst nahm die Schüler fest und folterte sie. Die aufgebrachten Eltern wurden hochmütig abgewiesen. „Sie sollen vergessen, dass sie Kinder hatten, wurde ihnen gesagt.“ Danach kam es zu friedlichen Protesten der Familien und ihrer Verwandte vor dem Gouverneurssitz, der gewaltsam niedergeschlagen wurde. Es gab die ersten Toten. Das war der Auslöser für weitere friedliche Demonstrationen im ganzen Land. Doch von Anfang an behauptete das Assad-Regime, es wären militante und gewaltbereite Terroristen, die Unruhe stiften würden. Das gewaltsame Eingreifend er Staatsmacht führte langsam zu einer größeren Gewaltbereitschaft unter den Demonstranten. Staaten wie die Türkei, Saudi-Arabien oder Katar, die Assad kritisch gegenüber standen, stachelten mit Waffenlieferungen und Geld die Demonstranten an. Es formierte sich die Free Syran Army. Zunächst sah es so aus, als ob das Regime gestürzt werden könnte. Auch der Westen war dieser Meinung, doch das sollte sich als fatale Falscheinschätzung zeigen. Der Iran griff auf Seiten der Machthaber ein und das Kräftegleichgewicht veränderte sich zu Gunsten des Regimes. Dabei wurden die radikalen Gruppen in Syrien, wie die Terrormiliz IS, immer stärker. Als nun Russland ebenfalls aktiv in Syrien tätig wurde, weitet sich der Konflikt endgültig zu einem Stellvertreterkrieg aus. Auf der einen Seite der Iran mit Russland als Verbündete und auf der anderen Seite Saudi-Arabien mit den USA als Unterstützer. Dazu kommt der religiöse Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten. Stefan Maier vergleicht das mit dem 30 jährigen Krieg, der religiöse und machtpolitische Dimensionen hatte.
„Im sechsten Konfliktjahr ist Syrien inzwischen vollständig zerstört.“ Maier zeigt Bilder von zerbombten Stätten wie Homs. „Inzwischen sind 470 000 Menschen gestorben. 11,5 der syrischen Bevölkerung ist entweder getötet oder verletzt. „Das Ausmaß wird bei der Lebenserwartung am deutlichsten. 2010 betrug die Lebenserwartung in Syrien 70 Jahren 2015 waren es nur noch 55,4 Jahre.“
Der Bürgerkrieg hat zu der bekannten Flüchtlingskatastrophe geführt. Die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist auf der Flucht. Entweder im Land selber oder in die umliegenden Länder. „Die direkten Nachbarländer wie Türkei, Jordanien oder Libanon sind am stärksten betroffen.“ Diese tragen die Hauptlast der Flüchtlingswelle und nicht Europa. Maier macht das anhand der Situation im Libanon deutlich. „Der Libanon ist flächenmäßig kleiner als das Land Tirol. Es besitzt 4,5 Millionen Einwohner und hat 1,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen.“ Hinter diesen Zahlen stehen Einzelschicksale. „Gerade die Kinder und Alten sind besonders betroffen. „Die Caritas Österreich organisiert eine Nothilfe und hat einige Projekte angestoßen, gerade Kindern eine Ausbildung sowie einen tägliche Schulspeisung zu ermöglichen. „Besonders die geflohenen Christen sind besonders betroffen, da sie zwischen den verschiedenen Gruppen stehen.“ Maier unterstrich, dass die Menschen nur in äußerster Not die gefährliche Flucht nach Europa auf sich nehmen würden. Er machte die unzureichende Hilfe des Westens mit dafür verantwortlich. Nach der Zukunft gefragt, zeigt sich Maier pessimistisch. „Ich glaube, der Krieg wird noch lange weiter gehen. So lange, bis alle Seiten erschöpft sind.“ Katastrophal wäre es, wenn die Situation im Libanon eskalieren würde. „Der einzige Weg für die Menschen wäre dann über das Mittelmeer nach Europa.“ Eine Hoffnung auf Frieden zeigt sich nicht. „Den Deal mit der Türkei angesichts der Rolle, die sie spielt, halte ich für verwerflich“, schloss Stefan Maier seinen eindrücklichen Vortrag. Schade nur, dass die Berchtesgadener Bevölkerung nicht großes Interesse an diesem so wichtigen Thema gezeigt hatte. Hier gab es eine Möglichkeit, aus erster Hand Informationen zu erhalten, nicht nur den vorgesetzten Fernsehbildern zu folgen, eigene Fragen zu stellen und einen guten Überblick zu bekommen. Doch diese Müdigkeit zu diesem Thema ist für Europa vielleicht die größte Gefahr, überlässt sie doch den Schreiern und Agitatoren das Feld.
Christoph Merker