Konzerterfahrung aus ungewohnter Perspektive
St.-Andreas-Chor wirkt bei Neujahrskonzert der Salzburger Kulturvereinigung mit - Eindrücke eines Chorsängers ...
Es ist Neujahrsmorgen, 8 Uhr. Ich betrete das Große Festspielhaus, und zwar durch den Künstlereingang. Der Portier öffnet den eintröpfelnden Chorsängerinnen und Chorsängern die Tür in das riesige, unübersichtliche Innere. Wo müssen wir hin? „Garderobe der Damen im 2. Stock, die der Herren im 3. Stock.“ Über ein Stiegenhaus, das nur aus Betontreppen und Feuerschutztüren zu bestehen scheint, erreiche ich den uns zugewiesenen Garderobensaal. Dann geht es wieder hinunter, über die Bühne und quer durch den Zuschauersaal in die Förderlounge, wo das Einsingen stattfinden soll. Stefan Mohr begrüßt „seine“ Sänger vom Mozartchor und St.-Andreas-Chor sowie den „Chor InnVokal“ aus Braunau mit seiner Leiterin Eva Leitner. Man kennt sich, etliche Male hatte man miteinander geprobt. 8.45 Uhr, das Einsingen ist beendet, der Maestro erscheint. David Danzmayr, ein freundlicher junger Mann, noch keine vierzig, gebürtiger Oberndorfer, ist seit Kurzem Chefdirigent der Zagreber Philharmonie, die das Salzburger Neujahrskonzert zum dritten Mal bestreitet. Es ist sein erstes Zusammentreffen mit dem Chor, Spannung auf beiden Seiten, wie man miteinander zurechtkommen würde. Alle Chorstücke werden nun nacheinander gesungen. Der Maestro scheint zufrieden. Die Punkte, die er anzumerken hat, sind alles Dinge, die uns Stefan Mohr schon hundertmal gesagt hat ...
9.20 Uhr: Stellprobe auf der breiten Festspielhausbühne, der Chor sortiert sich in vier Reihen hinter dem Orchester, das seine Plätze schon eingenommen hat. 9.40 Uhr: Die Generalprobe kann beginnen. Die Anweisungen an das Orchester gibt Danzmayr auf Englisch, die an den Chor auf Deutsch. Das Zusammenspiel klappt ausgezeichnet. Zum Schluss appelliert der Dirigent an die Chorsänger: „Schauen Sie so wenig wie möglich in die Noten, Sie können mehr auswendig, als Sie glauben!“ Hatte das nicht Stefan Mohr auch immer wieder gepredigt? Um 10.30 Uhr ist die Generalprobe beendet.
11.00 Uhr: Das Neujahrskonzert beginnt, für uns Chorsänger hinter der Bühne oder in der Garderobe, unser Auftritt ist erst nach der Pause. Im ersten Teil spielt die Zagreber Philharmonie unter anderem Walzer von Johann Strauss Sohn: „Rosen aus dem Süden“, „Tik-Tac-Polka“ und „An der schönen blauen Donau“. Christine-Maria Höller wird vom Publikum für ihr Violinsolo in „Introduction et Rondo capricciosa“ von Camille Saint-Saens gefeiert.
Tanz in das neue Jahr: "An der schönen blauen Donau" - auch hinter der Bühne ein Genuss
Unmittelbar hinter der Bühnenrückwand: die Kleider von Musikern und Instrumenten
12.20 Uhr: Es läutet. Die Pause ist beendet. Die Zuhörer nehmen ihre Plätze ein, ebenso die Orchester- und Chormitglieder. Nach der Meistersinger-Ouvertüre von Richard Wagner sind wir zum ersten Mal dran. „Va pensiero“, der Gefangenenchor aus Nabucco. Wie hatte der Dirigent in der Probe gesagt: „Man soll es nicht hören, es soll nur so klingen, als höre man etwas …“ Der Chor hält sich an die Vorgaben von Verdi und Danzmayr und singt „sotto voce“, also gedämpft und sehr zurückhaltend. Ganz anders im folgenden Trinklied „Brindisi“ aus La Traviata, in dem Gerhild Zeilner (Sopran) und Maximilian Kiener (Tenor) als Solisten brillieren. Da darf es auch der Chor in den drei kurzen Einwürfen „krachen lassen“. Nach der imposanten Ouvertüre zu „Rienzi“ von Richard Wagner erscheint der Mädchenchor Zvjezdice aus Zagreb auf der Bühne und gewinnt mit zwei perfekt gesungenen Liedern die Herzen der Zuhörer. Als letzter Programmpunkt folgt der Triumphmarsch aus „Aida“, in dem der Gemeinschaftschor noch einmal zeigen kann, was er gelernt hat.
Chefdirigent David Danzmayr (Danzmayr-Fotos: Archive of Zagreb Philharmonic Orchestra)
13.10 Uhr: Lang anhaltender Applaus. Die Chor-Damen dürfen als Zugabe in der Barcarole von Jacques Offenbach schwelgen, ehe der Radetzkymarsch den fulminaten Schlusspunkt unter das Neujahrskonzert setzt. Resümee: Ein begeistertes Publikum, ein hochzufriedener Dirigent, ein glücklicher Chorleiter und für mich auf alle Fälle eine aufregende Erfahrung, einmal nicht vom Zuschauerraum auf die Bühne zu blicken, sondern in der entgegengesetzten Richtung.
Andreas Pfnür