Weihnachten ist ein Fest der Bewegung

Ein Artikel aus der Weihnachtsdoppelausgabe der Münchner Kirchenzeitung

Die Krippe gehört zu Weihnachten, der Barmherzige Vater in die Fastenzeit – so scheint es klar zu sein. Beides finden wir im Lukasevangelium. Doch gibt es darüber hinaus Gemeinsames, vielleicht sogar Impulse für die krisengeschüttelte Kirche?

Weihnachten bringt in Bewegung: Maria und Joseph ziehen von Nazareth nach Betlehem, Hirten brechen nach der Botschaft des Engels auf, die Magier folgen dem Stern und wollen dem neugeborenen König huldigen. Selbst Herodes wird ein Suchender, wenn auch aus gegenteiligem Motiv. Alle Jahre bringt das Weihnachtsfest Menschen in Bewegung und führt zusammen, stärkt Familienbande und Freundschaften, motiviert zum Krippenschauen in Kirchen und Häusern. Die Geburt des Gottessohnes bewegt, hin zur Krippe, zur menschgewordenen Liebe Gottes zu uns, sichtbar in einem schutzlosen Kind.

Das Bild des Barmherzigen Vaters bei Lukas (Lk15) bewegt kaum weniger. Die Figurengruppe „Barmherziger Vater“, im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit noch am Nordportal der Berchtesgadener Stiftskirche, wurde zu einem weit bekannten Motiv. Die überlebensgroße Steinskulptur ist ein Geschenk des Künstlers, Hermann Bach, an die Pfarrei St. Andreas 1922 zum Jubiläum 800 Jahre Stiftskirche. Sie gibt den Moment der Begegnung des „verlorenen“ Sohnes mit seinem Vater wieder, der diesen liebevoll in die Arme schließt. Die Botschaft: Alles ist wieder gut! Das berührt die Herzen und schafft Hoffnung in all jenen, die den rechten Weg aus dem Auge verloren oder bewusst verlassen haben und eine Heimkehr im Innersten ersehnen. Hoffnung auch für diejenigen, die der Verlust geliebter Menschen verletzt hat, die Abkehr erfahren mussten, deren Liebe geringgeschätzt oder gar verschmäht wurde.

Der Barmherzige Vater in der Stiftskirche zu Berchtesgaden

Die Darstellung des barmherzigen Vaters ist kraftvoll, so dass sie das Individuum übersteigend auch ein „Denk-mal!“ für die Kirche als Ganze zu sein vermag. Gleicht sie nicht dem Sohn, der sich in übersteigerter Selbstsicherheit und Verkennung seiner Möglichkeiten weit vom Vater entfernt hat? Wie „Hans im Glück“ ist Kirche übermütig im Begriff, vieles über Bord zu werfen, was erprobten Wert hat, und sich in diesem Unterfangen sogar noch klüger als viele frühere Generationen zu dünken. Ja, sie scheint sich nach dem willentlichen Verlust sogar besonders frei und unabhängig zu gerieren. Die Sicht von außen ist oft anders: Sie steht nur noch spärlich bekleidet da, weitgehend ohne geistliche Botschaft, ohne fruchtbare Glaubwürdigkeit, ohne ausstrahlenden Glauben – ohne existenzielle Relevanz. Weithin fassungslos sehen viele diese Entwicklung, schweigen, fühlen sich außerstande dem Treiben Einhalt zu gebieten.

Wir wissen, was der Sohn im Evangelium, ganz unten angekommen, bedenkt und tut! Er geht in sich. Er sieht plötzlich den Wert des Vaterhauses, fasst Mut, setzt sich in Bewegung und kehrt um. In seinem kleinkarierten Denken verkennt er zwar einmal mehr die Liebe des Vaters und möchte sich unter die Dienstboten einreihen. Doch in den Augen des Vaters bleibt er trotz allem Sohn, behält immer seine Würde. Der Vater wiederum gibt seine Hoffnung nie auf, denn „er sah ihn schon von weitem kommen“ (Lk 15,20) – er hält also Ausschau nach ihm und eilt ihm entgegen, als er ihn von weitem kommen sieht.

Ist das nicht eine geistliche Perspektive für 2023? Die Umkehr des Sohnes ist positiv gesehen die neuerliche, bewusste Hinwendung zum Vater, zu Gott, zur Quelle des Heils und der Heiligkeit. Eine Kirche, die nur noch von Strukturen redet, die synodal Toleranz gegenüber (fast) jedem und allem fordert, aber in diesem Furor just Toleranz vermissen lässt, die – so drängt sich der Eindruck auf – Zeichen der Zeit und Zeitgeist nicht mehr recht unterscheiden kann, deren Relevanz kaum mehr darin gesucht wird, eine Alternative zu einer sich immer mehr verheddernden Welt zu sein, sondern selber Teil des gordischen Knotens zu werden, dient nicht mehr, gibt keine Orientierung und hat keine Zukunft.

In den Bildern von der Krippe und dem barmherzigen Vater ermutigt uns Lukas, in Bewegung zu kommen, uns neuerlich Gott zuzuwenden, weil wir nur dort Heil erfahren werden. Diese conversio permanens ist Dauerauftrag der Christen durch alle Zeiten. Wie kann dies miteinander geschehen? Der hl. Papst Johannes XXIII schreibt den Konzilsvätern die Vorgehensweise ins Stammbuch: „Damit dies geschehe, werden von Euch ein erhabener Friede des Geistes, brüderliche Eintracht, Mäßigung in den Vorschlägen, Würde in den Beratungen und weise Überlegungen gefordert.“ Das ist der Weg für Um- und Hinkehr einer „verlorenen“ Kirche zum Vater.

Die Skulptur des Barmherzigen Vaters hat im Jubiläumsjahr 2022 in der Stiftskirche einen neuen Platz gefunden. Sie begrüßt nun die Eintretenden, erinnert jeden daran, in der unendlichen Liebe des Vaters zu stehen, öffnet das Herz zur Hinkehr zu Gott und macht – umgeben von Orten des Sakraments der Versöhnung – die Not-wendigkeit der Umkehr deutlich, für jeden einzelnen und die Gemeinschaft der Christen gleichermaßen.

Dr. Thomas Frauenlob, Bild: Andreas Pfnür

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