„Pfiat di! Vielleicht sehen wir uns nochmal in dieser Welt und sonst in der anderen!“

Ein persönlicher Nachruf von Msgr. Dr. Thomas Frauenlob

Es waren immer wieder Tage des Übergangs, an denen sich im Leben von Joseph Ratzinger Wichtiges ereignete: Geboren wurde er am Karsamstag 1927, den letzten öffentlichen Gottesdienst hielt er am Aschermittwoch 2013, heimgegangen ist er am Silvestertag 2022.

Im Lied zur Jahreswende singen wir über Christus: „Er ist der Weg, auf dem wir gehen, die Wahrheit, der wir trauen. Er will als Bruder bei uns stehn, bis wir im Glanz ihn schauen.“ In diesen Worten ist das Leben des Joseph Ratzinger, der als Papst Benedikt XVI. Geschichte geschrieben hat, treffend ausgedrückt. Die Suche nach dem Antlitz Christi war seine Motivation als Glaubender, Theologe, Bischof und Papst. Die neben all den vielen Aufgaben als Oberhaupt der Kirche abgerungene Zeit zur Abfassung einer Trilogie über Jesus von Nazareth, geronnene Erkenntnis seines Lebens, ist Ausdruck seines Strebens, den Menschen Christus vor Augen zu stellen, sie zur Freundschaft mit ihm einzuladen und sie mit ihm bekannt zu machen.

Christus war für Ratzinger der Weg zu Gott, die Wahrheit, der er sich als Mitarbeiter demütig zur Verfügung stellte, und die göttliche Schönheit, die er in der Schöpfung und in der Tradition erkannte. Dieser Lebensinhalt basierte auf einem frappierend einfachen Glauben, der in der Kindheit durch sein Elternhaus, die kulturelle Prägung einer katholischen Welt, wachsen konnte und in der Familie stets seine Heimat blieb. Auf diesem Fundament konnte er seine hohe intellektuelle und rhetorische Begabung nutzen, um über Gott und die Welt, Glaube und Vernunft, Kirche und Moderne zu sprechen, weil er davon überzeugt war, dass die natürliche Vernunft die Menschen zur Einsicht führen würde. Leider blieb er oft genug unverstanden, er wurde in banaler Weise missverstanden und man unterstellte ihm Weltfremdheit.  

Bei alldem blieb er ein Demütiger und Bescheidener. „Nicht Herren eures Glaubens, sondern Diener der Freude“ (2 Kor 1,24) – das war nicht nur sein Primizspruch, sondern Leitmotiv seines priesterlichen Dienstes. Sein bischöflicher Wahlspruch „Cooperatores veritatis“ (3 Joh 8) – „Mitarbeiter für die Wahrheit“ – wollte er in seiner intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Philosophie, Theologie und der Gottesfrage sein. Dass er sich angesichts des Jubels von Millionen in der ganzen Welt auf der Loggia des Petersdomes als einfachen und demütigen Arbeiter im Weinberg des Herrn bezeichnete, der aber auf die Gnade Gottes hoffen dürfe, war sein voller Ernst.

Auch das Eingeständnis nach acht Jahren Petrusdienst, seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten derart schwinden zu fühlen, dass um der Kirche willen nur noch der Rücktritt bliebe, war der unerwartete Akt eines Menschen, der sich der Wahrheit gänzlich verpflichtet fühlte. Zu seiner Auffassung von Demut gehört aber auch, dass er sich nie im egozentrischen Besitz der Wahrheit fühlte, sondern um die Notwendigkeit wusste, sich ihr je neu zu nähern. Daher rührte seine Lust am theologischen Disput, den er bis in die Zeit des Petrusdienstes nicht missen wollte und dem er bis zuletzt nie aus dem Weg ging.

„Pfiat di! Vielleicht sehen wir uns nochmal in dieser Welt und sonst in der anderen!“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Kardinal Ratzinger von einem bereits vom Tod gezeichneten Weihekollegen. Vorausgegangen war ein Gespräch der Brüder Ratzinger über das Sterben und den Tod – in einer tabulosen Offenheit, wie sie nur mit festem Glauben und starker Hoffnung möglich ist.

Nun ist Papst Benedikt selber diesen Weg gegangen und vielen nachgefolgt, die sein irdisches Leben begleitet und geprägt haben. Er hinterlässt uns ein beachtliches Erbe. Seine Lebensleistung als Professor, Bischof und Papst wird erst mit zeitlichem Abstand in angemessener Weise einzuordnen und zu würdigen sein. Und gewiss werden sich in diesem langen Leben Licht und Schatten finden, wie es bei jedem Menschen der Fall ist, der hohe und höchste Verantwortung getragen hat. Sicher jedoch wird uns ein gebildeter, kultivierter, ja nobler Bayer in Erinnerung bleiben, der ähnlich wie der Mönchsvater Benedikt gelebt hat: mit beiden Beinen auf der Erde, den Blick zum Himmel gerichtet.
 

Bilder und Stationen mit Benedikt XVI.

Der traditionelle Kaffee bei den Ordensschwestern zu Beginn des Weihnachtsaufenthalts - Gruppenbild
Der traditionelle Kaffee bei den Ordensschwestern zu Beginn des Weihnachtsaufenthalts - Gruppenbild

Im Gespräch mit Traunsteiner Seminaristen in Castelgandolfo
Im Gespräch mit Traunsteiner Seminaristen in Castelgandolfo

Gruppenbild im Priesterseminar in Traunstein
Gruppenbild im Priesterseminar in Traunstein

Josef Kardinal Ratzinger (rechts) mit Dr. Thomas Frauenlob
Josef Kardinal Ratzinger (rechts) mit Dr. Thomas Frauenlob

Josef Kardinal Ratzinger (rechts) mit Dr. Thomas Frauenlob
Josef Kardinal Ratzinger (rechts) mit Dr. Thomas Frauenlob

Papst Benedikt XVI. mit Dr. Thomas Frauenlob
Papst Benedikt XVI. mit Dr. Thomas Frauenlob

Papst Benedikt XVI. im Jahr 2021 mit Michael Koller (links) und Dr. Thomas Frauenlob (rechts)
Papst Benedikt XVI. im Jahr 2021 mit Michael Koller (links) und Dr. Thomas Frauenlob (rechts)

Papst Benedikt XVI. im Jahr 2022 mit Dr. Thomas Frauenlob (rechts)
Papst Benedikt XVI. im Jahr 2022 mit Dr. Thomas Frauenlob (rechts)

Predigt und Bilder: Dr. Thomas Frauenlob

 

Das Leben des Joseph Ratzinger

Aufzeichnung der Fernsehsendung am Neujahrstag in der BR-Mediathek mit Anette Schavan, Msgr. Dr. Thomas Frauenlob und Tilmann Kleinjung: https://www.br.de/mediathek/video/das-leben-des-joseph-ratzinger-doku-trauer-um-benedikt-av:63b03635df6e4e00089fb763

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