„Mit einem Kirchenaustritt allein wird sich wenig ändern“

Franz Punz und Anna Zekert engagieren sich als OberministrantInnen in Berchtesgaden und Bischofswiesen. Ein Gespräch über die Rolle der Kirche und wieso man gerade jetzt den Glauben nicht verlieren sollte.

Schülerin Anna Zekert ist 18 Jahre alt und Oberministrantin in Berchtesgaden. Seit neun Jahren engagiert sie sich in der Kirche. Zu Beginn, weil ihr Bruder und viele Freundinnen Ministranten wurden, heute, weil es zu ihrem Leben dazugehört, obwohl alle anderen bereits aufgehört haben. Franz Punz ist 23 und Oberministrant in Bischofswiesen. Er ist seit vierzehn Jahren Ministrant und ging schon immer mit seiner Oma sonntags in die Kirche. Der Berchtesgadener Anzeiger hat mit den beiden über ihren Glauben, die Missbrauchsfälle in der Kirche und die Gründe, trotzdem in der Kirche zu bleiben, gesprochen.


Was bedeutet euch die Arbeit in der Kirche?

Franz: Bei mir ist es die Freude, etwas zu bewegen, mit Menschen gemeinsam Zeit zu verbringen.

Anna: Ich gehe seit meiner Taufe regelmäßig in die Kirche. Als Ministrantin macht es mir Spaß, Menschen auf dem selben Weg zu begleiten. In neun Jahren als Ministrantin lernt man die Babys bei der Taufe kennen und begleitet sie teilweise bis zu den Kommunions- oder Firmgruppen oder wenn sie selbst anfangen zu ministrieren.


Wie setzt sich eure Gemeinschaft zusammen?

Franz: Ich glaube, sobald die Leute 18 werden, gibt es einen Cut. Man ist mit der Schule fertig, hat andere Interessen als zu ministrieren. Einige, so wie ich oder Anna bleiben, das sind schon Ausnahmen. Manchmal kommen ehemalige Minis noch in unseren Jugendraum, egal ob sie noch aktiv sind oder nicht. Da geht es mehr um den Zusammenhalt in der Gemeinschaft und voneinander zu lernen und Erfahrungen auszutauschen. Im Grunde sind es hauptsächlich Ministranten, wenn aber mal jemand dabei ist, der gar nicht ministriert oder noch nie hat, ist das kein Ausschlusskriterium. Das ist wie bei der Kirche selbst, man muss nicht täglich hingehen, das Außenrum gehört genauso dazu.


Was sind eure Aufgaben als Oberministranten?

Anna: In der Regel treffen wir uns zwei Mal pro Monat um die Abläufe zu proben, wenn Feste stattfinden auch mal öfter. Danach setzen wir uns gemütlich zusammen. Es gibt Aktionen wie Zeltlager, gemeinsames Grillen, Kickerturniere oder Übernachtungen im Pfarrheim, bei denen die Kinder dann ganz aufgeregt sind, weil sie das erste Mal eine Nacht durchmachen. Es geht um Spaß, der nicht nur aus ministrieren und Kirchenbesuchen besteht.


Ist dieser soziale Zusammenhalt das, womit ihr junge Menschen motiviert, dazuzukommen und dabei zu bleiben?

Franz: Auf jeden Fall. Das Schönste am ministrieren und an der Arbeit in der Kirche ist die Gemeinschaft, die außen rum passiert. Das Ministrieren gehört für mich genauso dazu, wie der alltägliche Sonntagsgottesdienst. Schwerpunkt ist aber Gemeinschaft, mal andere Leute treffen, die man nicht in der Schule täglich sieht. Klar gibt es im Zeltlager mal ein Mittagsgebet oder auch einen Gottesdienst. Im Mittelpunkt steht aber das Zusammensein und Gaudi zu haben.


Was bedeutet für euch Glaube?

Anna: Glaube ist für mich Heimat. Ich gehöre zu einer zuverlässigen Gemeinschaft. Auch wenn es gerade jetzt wegen der Umstände schwer ist, ist die Sehnsucht nach einer Gemeinschaft immer da. Es ist eine Ergänzung zum Schulalltag. Ich kann beim Beten oder in der Kirche eine Stunde in mich gehen und fürs Innere ich sorgen.

Franz: Mir geht es genauso. Glaube ist Gemeinschaft für mich, man freut sich, sich zu treffen. Glaube ist für mich nicht nur der sonntägliche Gottesdienst. Glaube kann auch stattfinden, wenn ich auf den Berg gehe oder wenn ich daheim bin. Es kann ein Ritual sein, das überall stattfindet, aber es muss nicht immer der eingefleischte katholische Gottesdienst ohne Ecken und Kanten sein. Auf den Glauben kann man einfach immer zurück kommen.


Wann ziehst du besonders Kraft aus dem Glauben?

Franz: Ich habe es erfahren, als meine Oma an Weihnachten gestorben ist. Vorher hatte ich das nie so richtig gespürt. Auch Musik und Gesang an einem Feiertag ist ganz besonders für mich. Wenn Menschen zusammenkommen und sich Halt geben ist das Glaube für mich.


Glaube ist also vor allem Gemeinschaft?

Franz: Auch, aber nicht nur. Man spürt ihn in sich selbst als ein Gefühl. Wenn ich es mir bildlich vorstelle ist es ein Treffen in der Gemeinschaft. Aber in jedem kleinen Schulkind steckt zum Beispiel der Glaube: „Heute will ich eine gute Note schreiben und glaube an mich." Das hängt nicht direkt mit Gott zusammen. Es ist in einem drin, egal ob kirchlich oder nicht.


Nun haben in den letzten Jahren viele Menschen den Glauben an die Kirche verloren. Eine Studie zum
sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising legte 497 Opfer und eine wahrscheinlich noch viel höhere Dunkelziffer dar.  Die Anzahl der Kirchenaustritte explodiert. Verliert man da auch den Glauben?

Franz: Ich finde es wahnsinnig schlimm, was passiert ist und was alles ans Licht kommt. Ich kann manche Leute verstehen, wenn sie nichts mehr mit dem sogenannten Verein Kirche zu tun haben wollen. Für mich ist die Kirche aber kein Verein, sondern eben mit Glaube verbunden. Ich könnte nicht aus der Kirche austreten und will nicht wissen, wer in meinem Umfeld austritt. Ich denke, einfach auszutreten ist das Falsche. Wenn einem etwas daran liegt, sollte man eher aktiv mitmachen und versuchen etwas zu verbessern. Dann merkt man auch, dass sich schon recht viel tut. Ob da ein Austritt die einzig richtige Lösung ist weiß ich nicht.

Anna: Für mich wäre das auch keine Option. Es gibt überall schwarze Schafe. Dass die Kirche so im Vordergrund steht, hätte jeder anderen Institution auch passieren können.


Glaubt ihr nicht, dass ein Austritt ein starkes Symbol ist, die Bischöfe zum Nachdenken zu bewegen und etwas zu ändern? Wenn alle bleiben, ändert sich doch wenig.

Franz: Natürlich gibt es den Bischöfen zu denken. Alles was in der letzten Zeit ans Licht kam ist wichtig, damit sich endlich etwas ändert. Wenn nichts passieren würde, würde man so weitermachen wie bisher und das wäre falsch. Man merkt ja an der schrumpfenden Zahl an Kirchenbesuchern, dass etwas getan werden muss. Durch Austritte geschieht das mit noch mehr Druck und das schadet auch nicht. Für mich ist es aber trotzdem die falsche Option.


Woran liegt dieser Fokus auf die Kirche in den Nachrichten?

Franz: Die Kirche ist mit den Jahren in die Jahre gekommen und veraltet. Gerade deshalb passiert viel und wir sind auf einem guten Weg. Man kann und muss noch Vieles verbessern und sich überlegen, wie sich die Kirche in Zukunft aufstellen soll.


Was würdet ihr euch wünschen?

Franz: Unsere Bischöfe sollten Frauen die gleichen Rechte in der Kirche gewähren wie Männern. Ich finde es unmöglich, dass man heutzutage noch strikt trennt. Jeder soll in der Kirche akzeptiert sein. Den Anfang macht man bereits seit 2018 mit dem sydonalen Weg. Ein Gesprächsformat, in dem man über die Rolle der Kirche debattiert und zum Beispiel die Missbrauchsfälle aufarbeitet und generelle Strukturen hinterfragt. Allerdings kommt es mir so vor, als würde man viel darüber reden aber wenig davon tatsächlich ändern. Die Kirche muss lockerer und weltoffener werden und dabei weiterhin traditionelle Elemente bewahren.

Anna: Früher durften ja sowieso nur Männer ministrieren, das hat sich Gott sei dank geändert. Heute wären wir ohne Ministrantinnen viel zu wenig, über die Hälfte sind bei uns weiblich.


Die Kirche soll sich also gegenüber allem öffnen und mit der Zeit gehen?

Anna: Die Kirche ist Teil der Kultur und alles komplett zu modernisieren würde nicht passen. Gewisse Sachen gehören dazu, deshalb besucht man zum Beispiel besondere Orte wie Notre Dame. Aber Dinge wie eine Ehe auch für Pfarrer zu erlauben halte ich für wichtig.

Franz: Dass durch eine Ehe mehr Männer Pfarrer werden glaube ich zwar nicht. Generell muss man einfach einen neuen weg in die Zukunft finden. Kein Zölibat wäre eine kleine Erleichterung. Ein Pfarrer mit Familie hat auch menschlich mehr Erfahrung, die er in den Gottesdienst einbauen kann, weil er alltägliche Dinge selbst miterlebt.


Welche Dinge sind für euch essentiell und sollten so bleiben wie sie sind?

Franz: Das Evangelium ist für mich ein essentieller Bestandteil eines Gottesdienstes, weil wir daraus lesen, was passiert ist. Als Pfarrer muss ich allerdings das, was da drin steht, an die heutige Zeit anpassen und nicht stupide vortragen ohne zu hinterfragen. Ich mag es, wenn man die Geschichte aus dem Buch nimmt und sich fragt, wie es uns heute damit geht und wie wir es anwenden können. Das macht einen Gottesdienst so viel lebendiger und greifbarer. Die Leute fühlen sich dadurch viel mehr verstanden. Auch Lachen ist ganz wichtig im Gottesdienst.

Anna: Aus einer lockeren Stimmung im Gottesdienst nimmt man persönlich viel mehr mit. Predigt der Pfarrer nur oder spricht er mit den Menschen auf Augenhöhe und mit Humor. Das macht einen immensen Unterschied.


In welchen Bereichen geht ihr in der Kirche bereits mit der Zeit?

Franz: Wir hatten letztes Jahr am Gründonnerstag ein letztes Abendmahl online und jeder hat Weintrauben und Brotzeit vorbereitet. Wenn es Corona zulässt, wollen wir das Live anbieten. Ein Gottesdienst am Gründonnerstag, in dem wir das Abendmahl aufbauen, uns zusammensetzen und hautnah erfahren, wie es damals war und was wir fürs Heute mitnehmen können.

Anna: Wir haben sogar einen Instagram-Kanal vom Stiftsland Berchtesgaden. Mit einem Podcast versucht das Erzbistum aufzuklären und die Kirche nahbar zu machen. Man kann übers Handy mitbekommen was gerade so läuft und auch Gottesdienste mitverfolgen. Ich glaube zwar nicht, dass man nur wegen Instagram zur Kirche kommt, aber es ist eine moderne Ergänzung. Auch die bevorstehende Pfarrgemeinderatswahl ist ziemlich modern, weil man online und sogar schon ab 14 Jahren wählen kann.


Wie möchtet ihr eure Arbeit künftig gestalten?

Anna: Unsere Aktionen wie Zeltlager und Co laufen, bis auf Corona, super und die wollen wir in jedem Fall beibehalten. Es ist schön, wenn Ministranten zusammenkommen und eine schöne Zeit haben.

Franz: Ich freu mich, wenn der Saal in Bischofswiesen wieder voll ist und die Kinder das erste mal die Nacht durchmachen. Das und sie immer ganz aufgeregt und fühlen sich ein Stück erwachsener. Wir möchten, dass Kirche attraktiv bleibt und ein Ort für Gemeinschaft ist. In der Coronazeit haben wir zum Beispiel den Jugendraum im Pfarrheim Bischofswiesen hergerichtet. Keine Handwerker, sondern nur wir als Gemeinschaft haben gestrichen, dekoriert und gebaut, sodass wir heute einen Raum haben für Filmabende, mit Tischtennisplatte, Kicker und Dartscheibe. Dort hängen Fotos von Ausflügen, es ist wie ein Jugendtreff.

Franz Punz und Anna Zekert im Interview

Franz Punz und Anna Zekert fühlen sich im neu gestalteten Jugendraum im Pfarrheim Bischofswiesen wie daheim.

Interview und Bild: Eva Goldschald 

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