„Fast wie Exerzitien“

Stille im Touristen-Hotspot: Wie das Stiftsland Berchtesgaden die Corona-Zeit meistert

Pfarrer Monsignore Dr. Thomas FrauenlobKaum ein Laut tönt durch die Gassen von Berchtesgaden, wo sich sonst die Touristen drängen. Ungerührt thront König Watzmann über dem Markt. In heiliger Stille liegt der Königssee da, bevor hier ab 30. Mai die Schiffe wieder fahren. Entschleunigung hat der Corona-Lockdown dem sonst pulsierenden Talkessel verordnet. Führt diese Ruhe zu Depression und Angst, oder ist sie auch eine Chance? Die Münchner Kirchenzeitung sprach unter anderem mit Monsignore Thomas Frauenlob, dem Leiter des Pfarrverbands Stiftsland Berchtesgaden sowie des Dekanats Berchtesgaden, über die Corona-Zeit im Stiftsland.

Stolz leben die Berchtesgadener sonst ihre Traditionen und zeigen sie den „Fremden“, die heute „Gäste“ heißen: Prozessionen wie bei beim Bergler-Fest am Pfingstmontag und zu Fronleichnam, Sport-Events, Kultur- und Brauchtumsveranstaltungen. Bis Ende August ist alles abgesagt: der große Schützen- und Trachtenjahrtag, das Annafest in Ettenberg mit seiner Lichterprozession und die „Almer Wallfahrt“ über das Steinerne Meer. „Das fehlt uns total“, räumt Dekan Thomas Frauenlob ein. Das „Social distancing“ sei zudem sehr gewöhnungsbedürftig im Markt, wo man sich gern die Hand gebe. Auf der einen Seite fehle das Gesellschaftliche, das Ritual. Auf der anderen Seite sei diese Entschleunigung fast wie Exerzitien. „Du versäumst nichts, weil nichts mehr los ist.“ So also muss sie sich früher angefühlt haben, die „staade Zeit“. „Viele haben sie genutzt, um innerlich und äußerlich aufzuräumen.“

Einsamkeit, Belastung der Familien, Unsicherheit und wirtschaftliche Not sind die Schattenseiten. Junge Wirtsleute wie Michael und Ramona Stanger vom Gasthof Dürrlehen belastet zum Beispiel der Mehraufwand für Hygiene und Bürokratie bei gleichzeitig weniger Sitzplätzen – und die Angst, dass bei einem Gast Corona nachgewiesen wird und sie wieder zwei Wochen zusperren müssen. Drei Jahre Aufbauarbeit seien in zwei Monaten zunichte gemacht worden, berichtet Maximilian Kühbeck vom kleinen Lokal „Berchtesgadener Esszimmer“. Doch er ist dankbar für die Zeit mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn. Mit dem Verkauf von Menü-Paketen, die eine Spende an die Lebenshilfe enthalten, federt er den Verlust leicht ab. Zusammenhalt in der Gesellschaft und positiver Geist seien jetzt wichtig.

Die Lage vieler Betriebe macht der Berchtesgadenerin Maria Stanggassinger, Prokuristin des „Berchtesgadener Land Tourismus“, Sorge. „Bei einigen kam Panik auf, wenn zum Beispiel gerade neu investiert wurde, und bei vielen anderen kamen Existenzängste hinzu, etwa wenn es mit den staatlichen Zuschüssen nicht gleich geklappt hat.“ Sie selbst war einmal mit dem Rad am Königssee unterwegs. „Das habe ich als gespenstisch empfunden“, erzählt sie.

Monsignore Frauenlob nimmt wahr, dass die Menschen sich gerade jetzt nach Spiritualität sehnen und neue Formen finden. So trafen sich Nachbarn mit Palmbuschen an einem Bildstöckerl. Familien feiern Hausgottesdienste, die Kinder in Tracht. Viele suchen ein Stück Normalität, die sie etwa im vertrauten Kirchenschmuck finden. Mit geistlichen Impulsen und sogar Video-Messen erreiche der Pfarrverband Stiftsland via Social Media nun auch Menschen abseits der Kerngemeinde.

Der Pfarrer hofft, dass die Chance, das eigene Leben zu vereinfachen und einander wieder als Menschen wahrzunehmen, präsent bleibt, auch wenn die Touristen ab Pfingsten zurückkehren sollen. Dass statt der Profitgier, die sich als Kehrseite des touristischen Erfolgs manchmal einstellt, Achtsamkeit und Respekt voreinander und vor der Natur dominieren. „Auch seitens der Gäste, dass wir nicht einfach nur ,Sepperl‘ sind.“ Vorbildlich fand er Gesten wie die der Wirtsleute des Bräustüberls: Am Tag der Schließung hätten sie das übrige Essen verschenkt, um es nicht wegwerfen zu müssen.

Um ein Zeichen zu setzen, habe die Kirche auch im Stiftsland keine Kurzarbeit angemeldet. Die Kirchenstiftung zahle ihren etwa 40 Beschäftigten weiter volles Gehalt und versorge weiter Handwerker mit Aufträgen. Durch die Krise schwer Betroffene, wie Alleinerziehende mit Kindern, ausfindig zu machen, sei nicht immer leicht. Ein Kooperations-Projekt des Pfarrverbands mit der Caritas solle jetzt schnelle Hilfe ermöglichen.

Text und Bild:
Veronika Mergenthal, Münchener Kirchenzeitung

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