Der Barmherzige Vater in der Stiftskirche

Ein Geschenk des Bildhauers Prof. Hermann Bach

Vor 100 Jahren erhielt die Stiftskirche die Figurengruppe der „Verlorene Sohn“ zum Geschenk. Sie wurde im August 1922 erstmals im Presbyterium zwischen Hochaltar und Kommunionbank aufgestellt. Man meinte, dieser Platz versinnbildlicht am besten, „wie Gott gleich dem Vater des verlorenen Sohnes, dem an der Kommunionbank knieenden heimgekehrten reumütigen Sünder entgegenkommt und ihn zu seinem Gastmahl lädt“.

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Später versetzte man die Plastik in die romanische Vorhalle, bis man sie endgültig ausmusterte und hinter der Stiftskirche ablegte, wo sie längere Zeit zerbrochen am Boden lag. Wieder zusammengefügt, stand sie bis 2020 vor dem nördlichen Seiteneingang.

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Heuer, zum 900-jährigen Jubiläum fand die in der Steinmetzwerkstatt Matthäus Rutkowski aus Trostberg aufwendig restaurierte Skulptur im hinteren Bereich des rechten Seitenschiffs einen neuen, würdigen Platz. Kardinal Reinhard Marx hat die Plastik am 26. Juni 1922 beim Festgottesdienst „900 Jahre Stiftskirche“ persönlich gesegnet.

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Neuerdings bezeichnet man sie als der „Barmherzige Vater“, was auch durchaus verständlich ist, denn der reich gekleidete, überlebensgroße Vater ist eindeutig die dominantere Person. Sein Sohn, nur mit einem Schurz bekleidet, ist wesentlich kleiner ausgeführt und reicht seinem Vater nicht einmal bis zur Schulter. Der Berchtesgadener Anzeiger schrieb am 19. August 1922, „die Darstellung ist so lebenswahr und tief empfunden, dass sie jedermann ergreift“. Das Kunstwerk ist am unteren Rand mit „H. Bach fec. Roma“ bezeichnet.

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Hermann Bach (1842 – nach 1922) war ein Sohn des Kartografen und Geologen Heinrich Bach. Er begann bei Theodor von Wagner an der Königlichen Kunstschule in Stuttgart seine Ausbildung zum Bildhauer und vollendete sein Studium von 1868 bis 1870 in Rom, wofür er ein staatliches Stipendium erhielt. Von 1871 bis 1894 arbeitete er meist im öffentlichen Auftrag in Stuttgart. Als erste Arbeiten dort dürften 1871 die Statuen von Friedrich Schiller und Friedrich List in Calw entstanden sein und die letzten waren wohl 1894 die Standbilder „Handel“ und „Schifffahrt“ für das Stuttgarter Landesgewerbemuseum. Seine Vorliebe galt aber religiösen Themen.

Wie so viele Herrschaften vor ihm, ließ sich der mittlerweile zum Professor ernannte Hermann Bach 1895 eine Villa mit Ateliergebäude (Villa Bach, heute Haus Sonnleite, Gmundberg 3) in Holzbauweise von Zimmermeister Michael Brandner (1836 – 1904) erbauen und zog dort ein. Michael Brandner lernte das Zimmererhandwerk und legte in München die Meisterprüfung ab. Er war über Jahrzehnte Zunftmeister und errichtete in seinem arbeitsreichen Leben rund 100 Gebäude im Berchtesgadener Land.

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Villa Bach in Berchtesgaden

Eine weitere Wirkungsstätte schuf sich Prof. Bach in Locarno, wo er meist den Winter über verbrachte.

Der „Barmherzige Vater“ stammt noch aus seiner Studienzeit in Rom. Er wird wohl 1870 entstanden und seine Abschlussarbeit gewesen sein. Papst Pius IX. (Papst von 1846 – 1878) sah sie in Rom auf einer Ausstellung. Er ließ den Künstler rufen, um ihn zu beglückwünschen. Bach hielt diese Arbeit stets in Ehren. Er ließ die über 40 Zentner schwere Skulptur zunächst nach Stuttgart und dann nach Berchtesgaden transportieren, wo er sie bis ins hohe Alter aufbewahrte und nie veräußerte.

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Am unteren Sockel steht in lateinischer Sprache, dass sie 1922 vom Künstler gestiftet worden ist. Prof. Bach übergab die Gruppe zwar im Jubiläumsjahr, das hatte aber mit dem 800-jährigen Jubiläum der Stiftskirche unmittelbar nichts zu tun. Der äußerst schwierige Transport von der Villa Bach in die Stiftskirche und die dortige Aufstellung erfolgten bereits im August. Erst am 15. Oktober 1922 feierte man das 800-jährige Jubiläum. Im Prolog und den drei damals gehaltenen Ansprachen, die in der Bergheimat von 1922 nachgelesen werden können, wird die Skulptur mit keinem Wort erwähnt. Da das Pfarrarchiv derzeit ausgelagert ist, konnten dortige Unterlagen nicht eingesehen werden.

Laut Wikipedia soll Hermann Bach 1914 oder 1919 gestorben sein. Nach dem erwähnten Artikel im Berchtesgadener Anzeiger kann das nicht stimmen. Er wohnte 1922 zwar nicht mehr hier, hat die Plastik aber eindeutig noch zu Lebzeiten der Stiftskirche überlassen. Dr. Walter Brugger schreibt sowohl in seinem Kirchenführer als auch in der Geschichte von Berchtesgaden, dass Prof. Hermann Bach aus München die Plastik gestiftet hat. Er dürfte also noch vor 1922 nach München übersiedelt sein. Bach meinte damals, er könne Berchtesgaden nicht vergessen und dieses Geschenk, das Beste seines Lebens, seien ein Ausdruck seiner Liebe zu unserem Lande. Der Berchtesgadener Anzeiger versicherte, „dass auch er in Berchtesgaden nicht vergessen wird und nach Jahrzehnten und nach Jahrhunderten werden die Beschauer seines Werkes in unserer Stiftskirche dankbar des Meisters gedenken“.

Möge dieser Artikel dazu beitragen, die Erinnerung an diesen hervorragenden, hier ansässigen und nahezu in Vergessenheit geratenen Künstler wieder wachzurufen. Er hat es wahrlich verdient.

 Alfred Spiegel-Schmidt

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Fotos/Repro: Andreas Pfnür und Alfred Spiegel-Schmidt

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