Begeisterung in die Welt tragen

Serie "Kirchturmgespräche" des Michaelsbundes (mk online) dieses Mal mit Pfarrer Dr. Thomas Frauenlob

In der Serie geht es mit den Gesprächspartnern auf die hohen Kirchtürme im Erzbistum. Diesmal verrät Berchtesgadens Dekan Monsignore Thomas Frauenlob, wie er die Zukunft der Kirche sieht.

Monsignore Thomas Frauenlob und Veronika Mergenthal auf dem Südturm der Berchtesgadener Stiftskirche. Zwischen ihnen sieht man den zum Teil unausgebauten Schlossflügel.
Monsignore Thomas Frauenlob und Veronika Mergenthal auf dem Südturm der Berchtesgadener Stiftskirche. Zwischen ihnen sieht man den zum Teil unausgebauten Schlossflügel (Bild: Johannes Schöbinger)

Berchtesgaden – „Das ist für mich auch eine Premiere“, sagt Dekan Monsignore Thomas Frauenlob. Zügig steigt der Berchtesgadener Pfarrer die fünf Steinstufen und 131 zuletzt sehr steilen Holzstufen hinauf, die vom Kirchenschiff in die Glockenstube des Südturms der Stiftskirche führen. Wir kraxeln unter den vier prächtigen Glocken hindurch – die ältesten sind die 993 Kilo schwere Frühmessglocke in Fis und die 400-Kilo-Primglocke in Cis, beide von 1597.

Jetzt sind wir auf einer Höhe von 40 Metern und recken unsere Köpfe aus einem der Schallfenster. Links im Hintergrund thronen majestätisch Watzmann und Hochkalter. Gegenüber liegt der 1760 vollendete Kalvarienberg. Unter uns flanieren Touristen über den sonnenüberfluteten Schlossplatz, der frühere „Residenzplatz“ der Fürstpropstei Berchtesgaden, die dem Salz ihre Macht verdankt. Das Kloster wurde als einziges Augustinerchorherrenstift Reichsfürstentum. Der Propst hatte in Regensburg, wo sich seit 1648 der Reichstag befand, Sitz und Stimme und musste repräsentieren. Auf altem Mauerwerk wurde die barocke Residenz errichtet. Ein Teil ist bis heute unausgebaut: Es war dort ein Theater geplant, doch den Pröpsten ging das Geld aus. Seit 1810, als Berchtesgaden zum Königreich Bayern kam, gehört das Schloss den Wittelsbachern und ist zum Teil Museum.

Die ursprünglichen Türme wurden um 1200 erbaut, etwa 100 Jahre nach der Klostergründung. 1596 brannte der Südturm ab und besaß fortan nur noch drei Geschosse. Der Nordturm erhielt eine spitze Haube, bis 1819 auch dort der Blitz einschlug. Die Wittelsbacher, die hier ihre Sommer- und Jagdresidenz hatten, legten indes Wert auf eine ansehnliche Kirche. So wurden die Türme 1865 bis 1868 aus dem grauen Nagelfluh der alten Türme und Marmor vom nahen Kälberstein neu errichtet.

Pfarrverbands-Erweiterung

Heute sind die Türme ein Wahrzeichen von Berchtesgaden und des 2015 gegründeten Pfarrverbands „Stiftsland Berchtesgaden“. Zum 1. Juni erweitert sich dieser um Winkl, Bischofswiesen und Strub auf sechs Pfarreien – Anlass für eine Gründungsfeier mit Weihbischof Wolfgang Bischof am Samstag, 29. Juni. In den nächsten Jahren wächst das Stiftsland mit Ramsau und Unterstein auf 16.000 Katholiken. „Ziel ist, an eine gemeinsame kulturelle Prägung anzuknüpfen und ein zukunftsfähiges Modell zu finden“, erklärt Monisgnore Frauenlob. Dazu gehört auch, dass der Pfarrverband, der am Pilotprojekt der Erprobung von Verwaltungsleitern teilnahm, nun als einziger Pfarrverband in der Erzdiözese einen zweiten Verwaltungsleiter erhielt. „Insofern sind wir zwar am Ende der Diözese, aber doch relativ innovativ“, merkt der Dekan schmunzelnd an.

„Vom operativen Geschäft Abstand zu nehmen, aufs Ganze zu schauen und die Zusammenhänge zu erkennen“, wie es so ein Turmblick ermöglicht, ist dem Priester sehr wichtig. Dazu zieht er sich zum Gebet zurück oder besteigt seinen Lieblings-Aussichtspunkt, die ohne große Anstrengung erklimmbare Kneifelspitze.

Erhebende Momente im Alltag

Studientage mit den Pfarrverbands- Gremien helfen ebenfalls dabei, Distanz zu finden und die begrenzten Kräfte richtig einzusetzen. Gemeinsam habe man drei Begriffe geprägt: „Beherzt Abschied nehmen“ – von dem, worauf man verzichten könne –, „Ressourcen erkennen“ und „Zukunft aktiv gestalten“. Eine wichtige Grundlage sei dabei die Sozialraumanalyse der Erzdiözese. Als besondere Herausforderung sieht der Seelsorger den erhöhten Prozentsatz von Armutsgefährdeten. Hoffnungsvoll stimmen ihn die 60 Kinder und Jugendlichen in den Chören, die Ministrantenarbeit, das „Riesenpotential“ der Ehrenamtlichen und der neue Gestaltungsspielraum beim Personal, etwa bei den Mesnern, die nun im Team ihre Dienste verteilen, statt nur ihre „eigene“ Kirche zu betreuen.

Was sind für ihn erhebende Momente im Alltag? „Wenn du als Seelsorger gefragt bist und nicht als Verwaltungsleiter.“ Tief bewegte ihn ein Besuch bei einer Familie, die gebeutelt ist von Krebserkrankungen und doch Kraft aus dem Glauben schöpft. Oder die Spendung der Krankensalbung bei einem Kind, das nach einem schweren Schlittenunfall dem Tod näher war als dem Leben. Ein Kreis von unterstützenden Betern fand sich zusammen, und 200 Menschen pilgerten für den Siebenjährigen nach Maria Ettenberg. Dass Benedikt völlig gesund wurde, nennt Frauenlob ein „Wunder“. Der Bub hatte heuer Erstkommunion und wird Ministrant.

Begeistern kann sich der Pfarrer für Ästhetik und die stimmige Gestaltung eines Raumes, der Gottesbegegnung ermöglicht, etwa in „Maria am Berg“. Eine geglückte Liturgie ist für ihn ein „Gesamtkunstwerk“. Aber auch das Eintauchen in die Welt der Bücher, etwa eine Biographie des Kaisers Mark Aurel oder ein Werk über die Entwicklung des Seefahrerreichs Portugal, fasziniert ihn.

Vision für die Weltkirche

Und die Vision des Vatikan-Kenners für die Weltkirche? Letztere symbolisiert für Monsignore Frauenlob eine enorme Stärke. Den von Papst Franziskus initiierten Prozess zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle bewertet er positiv – schmerzhaft, aber notwendig. Dabei gelte es, auch Fragen wie die Zölibatspflicht und eine bessere Partizipation der Frau in den Blick zu nehmen, ohne jedoch in der Krise vorschnell unklug zu handeln.

Monsignore Frauenlob lässt seine Augen in die Ferne schweifen: „Ich wünsche mir eine Kirche, in der die Mitglieder begeistert sind vom Evangelium und von der Person Jesu Christi und diese Begeisterung in die Welt tragen.“ Dass beim Brand von Notre- Dame der Hochaltar mit der Pieta und dem goldenen Kreuz heil blieb, deutet er als Zeichen der Hoffnung: „Manches Gewohnte wird wohl zerbrechen, doch eine Rückbesinnung auf das Wesentliche der christlichen Botschaft wird das Profil der Kirche auch wieder klarer machen.“ (Veronika Mergenthal)

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