Pretschlaipfer-Tympanon über dem Nordportal

Die Darstellung des Gnadenstuhls stammt wahrscheinlich vom "Meister von Großgmain"

In Kirchen finden sich im Allgemeinen viele „Stühle“ in den unterschiedlichsten Ausprägungen: der Dachstuhl, der Glockenstuhl, das Chorgestühl, die Zelebrantenstühle, das Laiengestühl (Kirchenbänke) und Beichtstühle. Die Berchtesgadener Stiftskirche hat darüber hinaus einen weiteren „Stuhl“: einen sogenannten Gnadenstuhl. Nicht jedem wird dieser von Martin Luther stammende Begriff geläufig sein. Laut Wikipedia ist der Gnadenstuhl „ein Bildtypus der christlichen Kunst zur Darstellung der Trinität (Dreifaltigkeit): Der zumeist gekrönte Gottvater hält das Kreuz (Kruzifix) mit dem toten Christus in beiden Händen, während die Taube als Symbol des Heiligen Geistes darüber schwebt. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts kommen außerdem Bildnisse auf, bei denen Gottvater den Leichnam des toten Sohnes auf seinem Schoß hält oder stehend den Sohn vor sich zeigt.“

Pretschlaipfer Tympanonklein


Leider dürfte aber nur ein kleiner Teil der Stiftskirchenbesucher dieses kunstgeschichtlich bedeutende Gemälde überhaupt zu Gesicht bekommen: Der Gnadenstuhl hängt nämlich in der relativ dunklen nördlichen Vorhalle des im Vergleich zum Hauptportal deutlich weniger genutzten Seiteneingangs als auf Holz gemaltes Tympanon-Bild über dem inneren Portal. In der Mitte zeigt es Gottvater als alten Mann in päpstlichen Gewändern, der dem Betrachter den vom Kreuz abgenommenen Leib Christi hinhält, über dessen Kopf die Taube des Heiligen Geistes schwebt. Links davon kniet Maria, rechts küsst der Evangelist Johannes Christi Hände. Von links naht der auf Christus deutende Johannes der Täufer mit dem Schriftband „Ecce agnus dei – Siehe das Lamm Gottes“. Der heilige Petrus – rechts mit dem Schlüssel dargestellt – hält ebenfalls ein Spruchband: „Hic est enim lapis angularis a edificatoribus reprobatus – Dieser ist nämlich der Eckstein, der von den Bauleuten verworfen wurde.“ Diese Textstelle ist dem Gleichnis von den bösen Winzern entnommen (Mt 21,42f.).

GnadenstuhlDetailklein
Am äußersten linken Rand kniet betend der Stifter dieses Gemäldes, Propst Erasmus Pretschlaipfer (1473-1486). Auf seinem Schriftband steht: „Salvum me fac deus secundum magnam misericordiam tuam – Gott, mach mich heil gemäß deiner großen Barmherzigkeit.“ In der rechten Bildecke sind – durch eine Mitra verbunden – das Stiftswappen (gekreuzte Schlüssel) und das Familienwappen von Propst Pretschlaipfer (dunkles Horn in hellem Schild) zu sehen, darüber die Zahl 1474, das Herstellungsjahr des Gemäldes. Unter dem Bild findet sich auf dem Türsturz des Portals in gotischen Minuskeln der Hinweis: „Praecursor summi agnum hic indice monstrans et claviger Christi, ecclesiae huius patroni – Der Vorläufer des Höchsten, der hier mit dem Zeigefinger auf das Lamm zeigt, und der Schlüsselträger Christi, die Patrone dieser Kirche.“
Der Stifter des Gnadenstuhls, Propst Erasmus Pretschlaipfer, entstammt einer Adelsfamilie in Tuntenhausen. Wann er in das Berchtesgadener Augustiner-Chorherrenstift eingetreten ist, weiß man nicht. Am 14. Juli 1473, drei Tage nach dem Tod von Propst Bernhard Leoprechtinger, wurde er zum Propst gewählt. 1475 assistierte er mit anderen dem Salzburger Erzbischof bei der Trauungszeremonie der berühmten Landshuter Fürstenhochzeit. Er setzte die von Propst Leoprechtinger begonnene Erhöhung des Langhauses mit Einbau größerer Fenster und die Einwölbung der Stiftskirche fort und ließ ab 1480 die zweischiffige Kirche am Anger (Franziskanerkirche) für die damals dort im Kloster wohnenden Augustiner-Chorfrauen errichten. Bei der letzten Renovierung (1992-95) der Franziskanerkirche wurde ein eingemauerter Schlussstein entdeckt, der das Stiftswappen und das Wappen von Propst Pretschlaipfer, dem Erbauer der Kirche, zeigt. Mit ausschlaggebend für den Bau der Kirche durch den Senior, Dekan und späteren Propst Erasmus Pretschlaipfer dürften nicht zuletzt die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu den beiden Augustiner-Chorfrauen Anna und Magdalena Pretschlaipfer gewesen sein. Anna war „magistra sanctimonialium“, also Vorsteherin des Frauenkonvents im Stift. Erasmus Pretschlaipfer starb am 2. September 1486, der Ort seiner Grabstätte ist nicht bekannt.

Pretschlaipfer Schlusssteinklein Bei Renovierungsarbeiten in der Franziskanerkirche entdeckte man 1992 einen Marmorschussstein mit einem Engel, der das Stiftswappen und das Pretschlaipfer-Wappen hält.

Während also der Stifter des 1474 entstandenen Tympanon-Gemäldes genau bekannt ist – nicht zuletzt durch das abgebildete Pretschlaipfer-Familienwappen –, ist man sich beim Maler weniger sicher. So ist im aktuellen Kirchenführer von 2002 (Mag. Reinhard Weidl) zu lesen: „Bei der künstlerischen Zuschreibung dieses hervorragenden Werkes spätgotischer Tafelmalerei vermutet man einen Maler aus dem Umkreis des in Salzburg tätigen Meisters Rueland Frueauf des Älteren; vielleicht ist es sogar ein eigenhändiges Frühwerk des nach den erhaltenen Flügelbildern in der Pfarrkirche Großgmain benannten „Meisters von Großgmain“. Von ihm beziehungsweise aus seiner Werkstatt stammt vermutlich auch ein gleichfalls von Propst Pretschlaipfer um 1480 für den Berchtesgadener Hof in Salzburg in Auftrag gegebenes Hausaltärchen in der Form eines Altartriptychons, dessen Tafelbilder heute in der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien aufbewahrt werden (Mitteltafel Tod Mariens sowie die nur teilweise erhaltenen Innen- und Außenflügel). Jüngst wurde auch auf die Ähnlichkeit des Berchtesgadener Bildes mit den Tafeln des Flügelaltars in der Pfarrkirche von Morzg bei Salzburg hingewiesen (Dr. Johannes Neuhardt).“

Tafelbild Grogmainklein

Die „Darbringung Christi im Tempel“ ist eines der Tafelbilder, nach denen der „Meister von Großgmain“ benannt wurde, und zeigt den Moment, in dem Maria dem Propheten Simeon das Jesuskind übergibt.

 

Marientodklein

Der „Marientod“, der seit 1953 in der Österreichischen Galerie im Wiener Belvedere ausgestellt ist, ist die Mitteltafel des Triptychons, das Propst Pretschlaipfer vom „Meister von Großgmain“ für die Kapelle im Berchtesgadener Hof in Salzburg malen ließ. Im Vordergrund ist eine der für das Berchtesgadener Holzhandwerk typischen Spanschachteln dargestellt. (Foto: Wikipedia Commons)


Der sogenannte „Meister von Großgmain“ gibt der kunsthistorischen Forschung allerdings nach wie vor Rätsel auf. Um Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Tafelbilder von Großgmain und vom Pretschlaipfer-Triptychon aus dem Berchtesgadener Hof in Salzburg feststellen zu können, wandte man verschiedene kunsttechnologische Untersuchungen an, wie etwa Röntgenanalyse, Untersuchungen im LV-Licht, Pigment- und Bindemittelanalysen. Außerdem verglich man Stil, Maltechnik, Figurentypik, Inschriften, Gewand- und Hintergrundmuster. Einig ist sich die Forschung heute darin, dass es sich beim „Meister von Großgmain“ um mehrere Meister oder um eine Werkstattgemeinschaft handelt, die der Werkstatt von Rueland Frueauf nahestand oder mit ihr verbunden war.

Nrdliche Vorhalleklein

Zwischen dem Marmorportal mit dem Pretschlaipfer-Tympanon und dem ehemaligen Friedhofskreuz ist an der Wand der nördlichen Vorhalle der Grabstein von Hans Lechner, Weinschenk im Nonnthal, angebracht.


Außer dem Pretschlaipfer-Tympanon weist die nördliche Vorhalle der Stiftskirche weitere interessante Ausstattungsstücke auf. Der Schlussstein des Netzrippengewölbes zeigt das Wappen von Propst Bernhard Leoprechtinger (gestorben 1473). 1847 wurde vom 1806 aufgelassenen Gottesacker zwischen Stifts- und Pfarrkirche das Friedhofskreuz in die Vorhalle verlegt. Gegenüber dem Kreuz hängt ein barockes Gemälde vom Tod des Menschen (Tod und Teufel, Engel und Auferstehung).

SchlusssteinLeoprechtingerklein

P1410929aklein

Zu beiden Seiten des Portals sind an der Wand zwei Marmortafeln angebracht: rechts der Grabstein von Hans Lechner, Rathsbürger und Weinschenk im Nonnthal, und seiner Frau Veronica Kholmann. Das Relief zeigt eine Mater dolorosa, zu deren Füssen die Verstorbenen knien.

GrabsteinLechnerklein

Auf der linken Seite hängt der Grabstein von Hans Erlpacher, seiner ersten Frau Christina Pabmpointner und seiner zweiten Frau Katharina Labermayr. Erlpacher war fürstlicher Secretarius und Kastner, der für die Überwachung der Besitzungen zuständig war, und ist am 14. März 1604 gestorben. Seine zweite Frau war die Schwester des Verlegers Georg Labermayr (Hirschenhaus am Marktplatz), der auch den Grabstein setzen ließ.

GrabsteinErlpacherklein

Grabstein Erlpacher Detailklein

Ein Detail des Grabsteines, den Georg Labermayr für seinen Schwager Hans Erlpacher setzen ließ, zeigt einen auf einem Toteschädel ruhenden Knaben mit einer Sanduhr in der Hand. Darunter das Steinmetzzeichen des Berchtesgadener Bildhauers Georg Keimhofer, der auch die beiden Seitenaltäre in der Stiftskirche geschaffen hat.

Der Steinmetz Georg Keimhofer schloss den Grabstein unten mit einem Memento-mori-Symbol ab, einem auf einem Totenkopf schlafenden Putto: Der Tod kommt gewiss – auch wenn der Mensch scheinbar noch ein langes Leben vor sich hat. So hatte der langjährige Pfarrer Otto Schüller sicherlich recht, als er in einem Kirchenführer schrieb, die nördliche Eingangshalle sei „für den Eintretenden ein Ort der Besinnung und Sammlung“.


Andreas Pfnür

Fotos: Andreas Pfnür

 

Weitere Informationen