Der himmlische Blick

Das Deckenbild der oberen Sakristei

Propst Gregor Rainer, dessen Grab sich im Chor der Stiftskirche befindet, ließ 1510 die Sakristei anbauen, welche er außen mit seinem Wappen versah. 1710 stockte man den Bau auf, sodass es seitdem eine untere und eine obere Sakristei gibt. Noch im gleichen Jahr stuckierte Josef Schmidt aus Salzburg beide Decken und der Laienbruder Christoph Lehrl aus dem Augustiner-Chorherrenstift Höglwörth malte praktisch in „Amtshilfe“ die stuckierten Felder unentgeltlich aus. Lediglich für die reichliche Verpflegung musste das Stift aufkommen. Den Höhepunkt ihrer Arbeiten erbrachten sie in direktem Anschluss in der Wallfahrtskirche Maria Gern.Die Bildfolge wurde immer von einem Kleriker festgelegt. Im Erdgeschoss sind die sieben Sakramente, in Öl gemalt, zu sehen. Das große Mittelbild zeigt das heilige Abendmahl, welches von den weiteren sechs Sakramenten eingeschlossen wird: Taufe, Firmung, Buße, Krankensalbung, Priesterweihe und Ehe. Im Bild der Priesterweihe hat sich der Maler wohl selbst dargestellt. 

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Vier Kirchenväter


Im Obergeschoss wurde die frisch verputzte Decke mit Fresken versehen. Das Mittelbild ist von Medaillons mit vier Kirchenvätern umgeben. Zu sehen sind: Ambrosius mit seinem Attribut, dem Bienenkorb. Papst Gregor der Große (540 – 605) mit Tiara und Hirtenstab. Hieronymus (340 – 420), der einem Löwen einen Dorn aus der Tatze gezogen und ihn gesund gepflegt hat, mit seinem Attribut, dem Löwen. Da der vierte lateinische Kirchenvater Augustinus im Mittelfresko erscheint, brachte man noch den hl. Athanasius d. Gr. (205 – 373) an. Er war Bischof von Alexandrien und wandte sich energisch gegen die Lehre der Arianer, die Christus nur für wesensähnlich, nicht wesensgleich innerhalb der Dreieinigkeit hielten. Er zählt deshalb zu den vier großen griechischen Kirchenvätern, wird aber auch in der katholischen Kirche verehrt.

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Der hl. Augustinus über dem Stift


Das Mittelfresko zeigt den in einer Wolke schwebenden und von Engeln umgebenen hl. Augustinus über einer Ansicht des Berchtesgadener Stifts. Er war Bischof von Hippo und deshalb halten Putti Mitra und Bischofsstab. Sein Attribut ist ein flammendes Herz (oft von einem Pfeil durchbohrt), welches er in der rechten Hand hält, denn sein Leitspruch lautete: „Du hast mich mit Deinem Pfeil getroffen, seitdem brenne ich.“ Augustinus zählt zu den vier lateinischen Kirchenvätern. Die von ihm eingeführte Praxis eines gemeinsamen Lebens der Priester unter einer Regel wird später zum Vorbild regulierter Kleriker-Kongregationen, wie dem hiesigen Augustiner-Chorherrenstift. Somit wurde er auch zu dessen Patron und über dem Stift schwebend dargestellt.

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Die Stiftskirche wird mit dem nördlichen Renaissanceturm und der südlichen Turmabdeckung, ohne den bei Merian abgebildeten spitzen Dachreiter gezeigt. 1700 wurde die barocke Pfarrkirche fertiggestellt, sodass man hier noch den originalen Zustand des barocken Kirchturms sieht, der 1842 beim Brand der Schranne, welche an der Stelle des Rathauses stand, seine markante Turmspitze verlor. Sie wurde danach durch den heute noch bestehenden einfachen Turmhelm ersetzt.
Am Kälberstein sieht man das Unterkälbersteinlehen und das Haus, welches der „Gastgeb im Neuhaus“ Martin Leitner mit seiner Ehefrau Barbara Gablerin 1617 erbaut hatte. 1758 entstand an dessen Stelle Schloss Fürstenstein. Eine Marmortafel über dem Eingang des Schlosses erinnert noch an diesen Vorgängerbau. Lockstein, Rauher Kopf und Untersberg wurden an den rechten Bildrand geschoben, damit links noch der Watzmann, das Wahrzeichen des Landes, erscheinen konnte. Dass diese Wiedergabe nicht der Wirklichkeit entsprach, nahm man in Kauf. Der Höhenzug zwischen Watzmann und Rauhem Kopf soll wohl das Lattengebirge darstellen, der Hochkalter fehlt. Die Ansicht wird von einer Balustrade eingefasst, die sich in himmlischen Gefilden befindet und durch die man auf das Stift und die Berchtesgadener Landschaft blickt. Der Priesterstein wird im Vordergrund von der Balustrade eingerahmt. Zwischen den Balustern kann man noch das Wildmeisterhaus erkennen. Unmittelbar denkt man an die berühmte Aussage von Ludwig Ganghofer, wenn man durch diesen offenen Himmel hinunterschaut.
Bisher war nicht bekannt, dass ein Kupferstich von Georg Vischer von etwa 1660 als Vorlage des Deckenbildes diente. Ihn wird Christoph Lehrl von dem Geistlichen erhalten haben, der für das Programm verantwortlich war. Heute sind von diesem Stich nur mehr vier Exemplare bekannt, die sich im Museum Schloss Adelsheim, im Salzburg Museum, in der Stiftsbibliothek St. Peter in Salzburg und in einer Privatsammlung in Berchtesgaden befinden. Er ist bezeichnet: "Das Fürstliche Stüfft Berchtolsgaden" und enthält die Künstlersignatur: "G. Visher, delineavit et sculpsit", das heißt, er hat das Blatt selbst gezeichnet und gestochen. Unter der Überschrift ist das Stiftswappen mit dem Herzschild des Wittelsbacher Administrators Maximilian Heinrich (1650 – 1688) zu sehen, der aus dem bayerischen Herrscherhaus stammte und als Kurfürst von Köln in Bonn residierte. So ist verständlich, dass Georg Vischer, der Wittelsbacher Hofmaler in München war, den Auftrag für diese Arbeit erhielt.

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Der Künstler hat das Stift vom gegenüberliegenden Herzogberg gemalt, sodass der Priesterstein im Mittelpunkt vor dem Stift liegt und auch die alte gotische Pfarrkirche gut zu sehen ist. Sie wurde auf dem Deckenfresko mit dem barocken Turm dargestellt. Dann zeichnete er die Schönfeldspitze, die er als Teufelshorn bezeichnete, den Watzmann mit der davor liegenden Alm Herrenroint und der seltsam wiedergegebenen Watzmann-Jungfrau und schob sie, wirklichkeitsfremd, von links in das Bild. Frater Christoph Lehrl malte nur den Ausschnitt vom Kleinen Watzmann bis zum Untersberg, anstelle des Wappens und der Überschrift erscheint bei ihm der hl. Augustinus. Auf die Abbildung des unteren Teils verzichtete er ganz.

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Mit dieser neuen Erkenntnis enden die Beiträge zum Jubiläum „900 Jahre Stiftskirche“. Noch nie wurden die behandelten Objekte so eingehend beschrieben wie in diesen Artikeln. Besser als mit diesem himmlischen Blick auf das Stift und sein altehrwürdiges Gotteshaus kann man die Serie nicht beschließen.

Text und Fotos: Alfred Spiegel-Schmidt

 

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