Das romanische Innenportal der Stiftskirche

Die seitlichen Säulen wurden 1882 samt den Basen und Kapitellen erneuert

Steigt man vom Schlossplatz kommend die acht Stufen in die einst offene romanische Vorhalle der Stiftskirche hinab, dann steht man vor dem prächtigen romanischen Innenportal. Hier kann man sich in die Zeit um 1200 und die damalige Glaubensauffassung zurückversetzen. In jeder Pforte kreuzen sich Mauer und Weg, sie markiert so den Übergang zwischen zwei Bereichen: Gut und Böse, Jenseits und Diesseits. Da das Kirchenportal als Himmelspforte verstanden wird, lässt man beim Durchschreiten die sündige Welt hinter sich und tritt in eine neue, göttliche Welt, in das himmlische Jerusalem ein.

Löwen bewachen das Kirchenportal

Der Eingang steht ganz in der Tradition des lombardisch geprägten Portals von St. Zeno in Bad Reichenhall. Wie dort waren auch hier ursprünglich zwei Löwen vorgelagert, die sich noch im Kreuzgang befinden und auf deren Rücken sich ehedem Säulen erhoben. Sie führen uns die gegensätzlichen symbolischen Eigenschaften des Tieres vor Augen: Bestie und Christus. Der linke Löwe im Kreuzgang stellt die Bestie dar, welche die Gläubigen jedoch nicht mehr zu fürchten brauchen, denn sie ist in die Kirche eingebunden, muss eine Säule tragen und alles Unheil von ihr abwenden. Hier hat sie einen Eber bezwungen, der für Brutalität, wilden Zorn und die Sünden des Fleisches steht.
Hinter dem rechten Löwen verbirgt sich Christus, der Erlöser von Sünde und Tod. Er soll Gutes schützen, den Gläubigen Sicherheit und Geborgenheit schenken und sie einladen, einzutreten: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Auf dem Fell dieses Tieres befinden sich auf den Vorder- und Hinterläufen aneinandergereihte Dreiecke, welche auf die Trinität, den Heiland verweisen.
Die Säule symbolisiert einen Baum und verbindet so seit vielen Tausend Jahren den Himmel mit der Erde. Die Basis stellt das Wurzelwerk, das Kapitell die Krone des Baumes dar. Der älteste Schmuck der Kapitelle bestand aus pflanzlichen Formen als Sinnbild des lebenden Baumes. Auch hier tragen alle vier rechteckigen Pfeiler und die erste Säule auf der rechten Seite Blattkapitelle. In der christlichen Tradition sind es die Bäume des Paradieses: Der Baum des Lebens sowie der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.
Die Rundbögen (Archivolten) über dem Portal beziehen sich auf das Überirdische, das alles Überspannende, den Himmel. Die sechs in der Tiefe gestaffelten Bögen deuten an, dass es mehrere Himmel gab. Nach den sieben Planetensphären gelangt man in den Fixstern- und dann in den Kristallhimmel. Auf die verschiedenen Himmel weist auch das Reichenhaller Vaterunser von 1521 in der Vorhalle von St. Zeno hin: „Vater unser der du bist in den hymeln“.
Neben der Bibel boten auch sogenannte „Bestiarien“ mit Allegorien zum volksnahen Verständnis des christlichen Glaubens reichlich Stoff zur Darstellung. Insbesondere der „Physiologus“, eine frühchristliche Schrift, welche die sagenhaften Eigenschaften von Tieren mit christlichen Glaubenssätzen zu verbinden suchte, war im hiesigen Stift bekannt. Das Konzil von Nicäa bestimmte 787, dass die Komposition der Bilder nicht der Initiative der Künstler überlassen sei. Die Anordnung und Disposition ist Sache der Väter. Den Steinmetzen stand somit immer ein Kleriker belehrend zur Seite, der die Szenen im Detail festlegte und alles in ein geistliches Programm einordnete.
Leider können wir dieses Programm nicht mehr erkennen, denn der Figurenschmuck wurde 1882 komplett erneuert. Aus einem Gesuch von Pfarrer Johann Ev. Gimpl vom 2. Dezember 1876 um Beihilfe zur Erneuerung des Portals erfahren wir den damaligen Zustand: „Das Portal ist ein Meisterwerk ältester Zeit aus Sandstein erbaut, der aber bis zur Unkenntlichkeit verwittert in kürzester Frist seiner gänzlichen Auflösung entgegengeht. Die für die Restaurierung nötigen Säulen aus Marmor sind bereits fertig, aber es will sich die verhältnismäßig gewiss nicht hohe Summe nicht finden lassen, um auch die Kapitelle anzufertigen und einzufügen.“ Die bereits vorhandenen vier achteckigen und zwei runden Säulen aus weißem Marmor hatte Steinmetzmeister Josef Renoth aus Berchtesgaden geschaffen.

Die Restaurierung von 1882

Kapitelle auf der linken Seite

 

Kapitelle auf der rechten Seite

Über die endgültige Restaurierung konnte in den Akten nichts gefunden werden. Fest steht nur, dass 1882 unter Pfarrer Johann Baptist Bauer von Bildhauer Henle, von dem wir nicht einmal den Vornamen wissen, in blendend weißem Marmor die Kapitelle, die Basen, der Türsturz und die Konsolen des Portals fertiggestellt worden sind. Das lässt auf einen anonymen Spender schließen, der nicht genannt werden wollte.
Noch aus dem 12. Jahrhundert stammen die Teile aus rotem Marmor und die wechselnden roten und weißen in den Archivolten. Auch die zwei kleinen, direkt aus dem Stein herausgeschlagenen Köpfchen, eines in der Kehle links vom Portal, das andere fast mittig im dritten Rundbogen, sind alt. Sie ähneln den Köpfchen am Südportal der Franziskanerkirche in Salzburg und dürften Abwehrsymbole sein.
Der gotische Eingang zur Vorhalle war früher offen, sodass Wind und Wetter dem Sandstein arg zusetzen konnten. Etwas mehr geschützt waren die Kapitelle auf den Seiten, sodass Henle die dortigen Darstellungen noch erkennen und kopieren konnte.
Die linke Seite romanischer Portale ist häufig dem Negativen, dem Teufel oder den Verdammten vorbehalten. Ganz links in der Ecke versteckt befinden sich ein nicht näher zu definierender Menschenkopf und davor zwei Schädel von Böcken, die aus dem Laub blicken. Der Bock galt als stinkendes, unreines Wesen, das beim Weltgericht die Rolle der zur ewigen Höllenstrafe Verdammten darstellt. Das ist hier wohl der linke Bock, der menschliche Züge trägt. Der rechte dürfte den Teufel verkörpern, da dieser in seiner Gestalt viel vom Bock übernommen hat.
Nach einem Blattkapitell beginnt der mittlere Bereich, wo die Witterungseinflüsse größer waren und die Darstellungen auf den Kapitellen nicht mehr erkannt werden konnten. So griff der Künstler auf Vorlagen im Kreuzgang zurück.



Die Adler auf den Mittelsäulen

Bei den beiden Mittelsäulen ließ sich der Künstler etwas ganz Besonderes einfallen. Er übernahm vom Südflügel den Adler, der sich an der Säule den Schnabel wetzt, und daneben den federlosen Adler vom Ostflügel. Den im Kreuzgang fehlenden Kopf hat er ergänzt. Links darunter ist das Steinmetzzeichen „M“ eingraviert, vermutlich begann der Vorname des Bildhauers mit diesem Buchstaben.

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Genau gegenüber, an der Mittelsäule der rechten Seite, setzte er den verjüngten Adler aus dem Ostflügel und daneben wieder den gleichen ohne Federn. Die beiden federlosen Adler blicken sich direkt an. Die Darstellungen sind bis auf die Kopfhaltung identisch.

Zum schnabelwetzenden Adler schreibt der Physiologus: „Wenn der Adler alt wird, wächst ihm auch sein Schnabel wie bei uns die Sünden. Um weiterleben zu können, reibt er ihn so lange an einem Felsen, bis er wieder Nahrung aufnehmen kann; denn unser Fels, unser Retter ist Christus, der uns von der Sünde befreit.“ Rechts daneben sieht man ihn wieder mit einsatzfähigem Schnabel, allerdings, im Gegensatz zum Kreuzgang, federlos.
An der Mittelsäule gegenüber erblickt man die beiden Adler, welche der Künstler dem Adlerkapitell im Ostflügel entnommen hat. Nach dem Physiologus fliegt der Adler in den Dunstkreis der Sonne und verbrennt sein altes Gefieder. Dann stürzt er hinab auf die Erde, taucht dreimal in einer Quelle unter und fliegt verjüngt mit neuem Federkleid davon. Diese Adler stehen somit allegorisch für die Auferstehung und das neue Leben in der Taufe (ohne Federn = ungetauft; mit Federkleid = getauft).



Der Baum der Überwinder

Jetzt setzen wir die Darstellungen auf der linken Seite fort. Unter einem Blattkapitell befindet sich das schon erwähnte Köpfchen aus dem 12. Jahrhundert.
Die Rundsäule neben dem Eingang zeigt eine Kopie des „Baumes der Überwinder“ aus dem Südflügel. Am Lebensbaum des neuen Paradieses wachsen drei junge Männer im Chorhemd aus dem Laub. Über deren Häuptern türmen sich Blätter dreifach übereinander (Trinität). Die Gestalten sind die Erwählten, die Überwinder, welche am Ende der Zeit die Früchte des Baumes zu essen bekommen und damit das ewige Leben empfangen. „Wer überwindet, dem will ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.“ (Offb 2,7). Im Kreuzgang gibt es nur zwei Köpfe, zwischen denen sich jedoch die Früchte des Baumes befinden, die hier fehlen und damit dem Ganzen ihren Sinn nehmen.
Links und rechts unterhalb des Türsturzes befindet sich jeweils ein Weinstock, der nach dem Johannesevangelium ein Sinnbild Gottes ist. Auf dem Türsturz erkennt man den bereits in altiranischen Mythen erwähnten Allsamenbaum aus dem Südflügel, der mit seinen unterschiedlichen Blattarten unbegrenzte Fruchtbarkeit ausdrückt. In der christlichen Bilderwelt stellt er den Lebens- als Tugendbaum dar, der besagt, dass nur ein tugendhaftes Verhalten den Weg ins Paradies ebnet und so eine reiche Ernte beschert. Anders als im Kreuzgang ist er hier zweimal liegend angebracht, in der Mitte durch eine Lilie getrennt. Die aus Ästen gebildeten Kreise um die ersten und letzten Blätter deuten die Ewigkeit an.
Im oberen Bereich auf beiden Seiten des Türrahmens wird Gottes Macht über Binden und Lösen durch Flechtbänder ausgedrückt.

 

Die Madonna von Gregor Passens

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Im Tympanon darüber schuf der aus Berchtesgaden stammende Künstler Gregor Passens, der in München lebt und wirkt, 2012 eine thronende Madonna mit Kind. Sie ist so trefflich eingefügt, dass man meinen könnte, sie gehöre zur Originalausstattung.
Nach einem weiteren Blattkapitell entdeckt man an der Innenseite einen Drachen, den man für naturwidrig und böse hielt. Er ist aus dem Ostflügel kopiert worden, wo er klar als der babylonische Drache zu identifizieren war, den Daniel getötet hatte. Hier steht er ohne Verbindung zur Geschichte Daniels nur für sich. An der Vorderseite dieses Kapitells sehen wir eine fünfblättrige Lilie, die genauso im Südflügel wiedergegeben ist.
Die auf den schon besprochenen Adler folgenden Kapitelle waren wieder besser geschützt und dürften somit noch den Originalen aus dem 12. Jahrhundert entsprechen, zumindest fehlen davon Vorbilder im Kreuzgang. Nach einem Blattkapitell folgt eine Art Gesicht (Maske) mit zwei Blättern auf dem Haupt und daneben eine Blattknolle, die dämonische Mächte binden soll.
Vor allem durch die Selbstbezeichnung Christi: „Ich bin die Tür, wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden.“ (Joh 10,9) wurden romanische Portale architektonisch stets besonders hervorgehoben. Sie gehören damit zu den großartigsten Schöpfungen dieser so bedeutenden europäischen Kulturepoche.

Alfred Spiegel-Schmidt

Alle Fotos: Alfred Spiegel-Schmidt

 

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