Karfreitag 2020

Vom "Kalvarienberg-Abbeten" und "Grabkugei´n schaug´n"

Dieses übernommene und trotzdem bis heute lebendige Berchtesgadener Karfreitagsbrauchtum erwähnt Rudolf Kriss 1986 in seinem Buch über „Sitte und Brauchtum im Berchtesgadener Land“ und er berichtet von lebhaften Besuch.

Wenden wir uns dem Begriff Abbeten zu und versuchen ihn wie folgt zu erklären: Beim Abbeten handelt es sich um eine alte Technik einer geistigen Arbeit, wobei das Gebet viel mehr ist als nur ein religiöser „Akt“ oder ein Ritual. Wer im Gebet versinkt, begibt sich auf eine intensive Seelenreise. Gebete zum Abbeten sind meistens tradiert und wurden von vielen Generationen ausgesprochen.

Genau dies gilt für das Kalvarienberg-Abbeten. Kurz vor seinem Tode im Mai 1768 hat nämlich der Erbauer der Kalvarienbergkapellen, Fürstprobst Michael Balthasar von Christallnigg, Schloss Fürstenstein samt allen Anlagen dem Stiftskapitel vermacht und dabei verfügt, dass er die am Calvari-Berg eingeführte Andacht mit Abbetung des Kreuzweges unter reichem Ablass-Gewinn zur Ehre Gottes und ihrem Seelenheil weiteres befördert sehen möchte“.

Seit mindestens 1796 gibt es gedruckte Vorgaben in einem entsprechenden Büchlein. Schon damals lautete die Aufforderung: „Mache dir, meine Seele, diese Betrachtung zu Nutzen, um die von seiner Heiligkeit Clemens XIII in diesem Büchlein nach den Gebeten folgende so große Ablässe durch inständige Intercession (Fürbitte) zu erhalten.“

Dabei sollte der Abbetende bei jeder einzelnen Kapelle ein genau festgelegtes Ritual befolgen:

  • Beschaue wohl das vorgestellte Geheimnis.
  • Lese/höre mit Bedachtsamkeit die darüber gemachte Erinnerung.
  • Bete langsam das Gebet oder was dir beliebt.
  • Opfere das Geheimnis auf für die Armen Seelen im Fegefeuer.
  • Beschließe die Aufopferung mit „O Herr, gib ihnen die ewige Ruhe.“
  • Auf dem Weg von einer Kapelle zur anderen bete ein Vaterunser und Ave Maria.

So lautete z. B. bei der ursprünglich ausgemalten ersten Kapelle mit dem Ölberggeheimnis der alte Vers: „Sieh, o Mensch, den Heiland fallen und die blasse Erde mahlen (malen) mit dem edlen Purpur Schweiß; Deine Sünd ist´s, die ihn drücket und den bitteren Kelch zuschicket, deiner Seele theuren Preis.“ Für den frommen Beter endete die althergebrachte Gepflogenheit des Abbetens oben bei der Kreuzigungskapelle mit den Worten „Oh gütigster Herr Jesu Christe, ich sage dir demüthigsten Dank für die große Barmherzigkeit, welche du mir auf diesem Kreuzweg verliehen hast, zur Verzeihung meiner Sünden und zur Nachlassung der verdienten Strafen.“

Das beschriebene Ritual des Abbetens ist in dieser Form und Ausübung wohl weitgehend erloschen; stattdessen praktiziert man Ölbergandachten. Geblieben ist jedoch, dass der Kalvarienberg weiterhin am Karfreitag zum Abbeten aufgesucht wird. Die Einheimischen aus dem Talkessel kommen im Bauerng´wand, und es wird intensiv gebetet, wenn auch nicht mehr nach den strengen Vorgaben des alten Andachtsbüchleins.

Unterhalb der Kreuzigungsszene am Kalvarienberg befindet sich ein Heiliges Grab; und das ist der Ausgangspunkt, der örtliche Beginn des zweiten Karfreitagsbrauches, nämlich „unseres Herrn Grabkugei´n schaug´n“. Das meint nichts anderes, als dass der fromme Beter die prächtig und aufwendig ausgestalteten Heiligen Gräber in unseren Kirchen zur stillen Andacht und Betrachtung aufsucht. Mystisch Beleuchtet von buntfarbigen Glaskugeln mit ihren Öllichtern wird die Grablegung Christi dargestellt und mit der verschleierten Monstranz auf einen Podest darüber wirkt dies wie ein vergrößerter Tabernakel. „Und sein Grab wird herrlich sein!“ Das ist mehr als nur barocke Volksfrömmigkeit und Tradition.

Text: Johannes Schöbinger

Bilder: Tobias Vogl

Kapelle1a

Kapelle 1

 

Kapelle 2a

Kapelle 2

 

Kapelle 3a

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Kapelle 4a

Kapelle 4

 

Hauptkapelle 1a

Hauptkapelle

 

Hl. Grab 1a

Heiliges Grab

 

Blick auf Berchtesgaden

Blick auf Berchtesgaden