Vom Waisenjungen zum Stifter einer Weltreligion

Der Historiker Martin Schneider auf den Spuren des Propheten Mohammed

Keine der großen Weltreligionen hat in der jüngeren Vergangenheit den Menschen so viele Rätsel aufgegeben wie der Islam. Oft genug hat der Terror ihn in die Schlagzeilen gebracht. Für viele ist eine vorurteilsfreie Begegnung mit dem islamischen Glauben kaum mehr möglich. In die Anfänge der Religion rund um die Person des Religionsstifters Mohammed gewährte der Historiker, Magister Martin Schneider, für das katholische Bildungswerk Mitte letzter Woche den zahlreich erschienenen Besuchern im Pfarrsaal tiefere Einblicke.

Die frühesten der heute bekannten biographischen Werke wurden etwa 100 Jahre nach Mohammeds Tod verfasst. Als bedeutendste Quelle gilt „Das Leben des Propheten". Dieser erste Bericht über sein Leben stammt von Ibn Ishaq, der als sein erster und seitdem offizieller Biograph gilt. Sagenhaftes, Fiktionales und ein einigermaßen gesicherter Tatsachenbestand vermischen sich dabei nicht selten zu verklärenden Erzählungen aus dem Leben des Religionsstifters, der etwa im Jahre 570 n. Chr. in der arabischen Stadt Mekka zur Welt kam.

„Mekka war zu dieser Zeit eine wohlhabende Handelsstadt", so Schneider. „Viele Familien profitierten davon, es gab aber auch viel Armut und Elend." Die Geschichte Mekkas kennt man heute seit der Periode Abrahams, über die Zeit davor gibt es wenige Informationen. Abraham brachte seinen Sohn Ismael zusammen mit seiner Mutter Hagar von Palästina nach Mekka und hielt auf dem Weg dorthin an einer im Koran als „das Tal, wo keine Saat wächst" bezeichnete Stelle.

Gelebte Toleranz in Glaubensfragen

Die arabische Halbinsel war zu dieser Zeit kaum bevölkert, im Zentrum dominierte die Sandwüste. Berge säumten das Rote Meer, es gab keine großen Flüsse und Seen. Die Gesellschaft war in unterschiedlich großen Stämmen, kleineren Klans und Großfamilien organisiert. Die Ehre des Stammes und die Blutrache spielten eine zentrale Rolle im Sozialgefüge der konkurrierenden Gruppen. Die einzelnen Nomadenstämme lebten in ständiger Fehde miteinander.

In Mekka gab es einen einzigen herrschenden Stamm, den der Koraischiten. Aus ihm stammte Mohammed. Die Kaufmannsrepublik bildete damals ein erstaunlich tolerantes Gemeinwesen. Es gab zwar ein zentrales Heiligtum, die „Kaaba", ein viereckiges Gebäude, in dem ein angeblich von Abraham eingelassener Stein ruht und das der Stammvater des Volkes Israel seinem Sohn Ismael zu Ehren gestiftet hatte. Rings um die Kaaba standen mehr als 350 Statuen und Symbole von Göttern, Götzen und Heiligen. In Mekka durfte jeder nach seinem Glauben selig werden.

„Sein Vater Abdallah und seine Mutter Amina verstarben schon früh", so dass Mohammed zuerst bei seinem Großvater aufwuchs und danach in die Obhut seines Onkels Abu Talib kam, einem der einflussreichsten Kaufleute der Stadt. Er arbeitete als Kameltreiber, zog mit Karawanen durch das Gebiet zwischen Syrien und dem Jemen. „Mit 20 Jahren kam er in den Dienst der reichen Kaufmannswitwe Chadischa," so der Historiker. Sie machte ihm einen Heiratsantrag, als er 25 und sie 40 Jahre alt war. Die Verbindung war glücklich, nach 25-jähriger Ehe starb Chadischa.

Mohammeds Emigration nach Medina

Im Alter von etwa 40 Jahren zog sich Mohammed häufig in die Einsamkeit des Gebirges zurück und fastete. Dabei suchte er regelmäßig eine Höhle am Berg Hira in der Nähe von Mekka auf. Hier soll ihm schließlich der Engel Gabriel erschienen sein. Der habe ihm aufgetragen, etwas zu lesen, obwohl er ihm kundgetan habe, gar nicht lesen zu können, so Schneider.

Mose, Jesus Christus, Siddhartha Gautama, Zarathustra, sie alle zählen zu den großen Religionsstiftern, in vielen Fällen ist die Bezeichnung umstritten, häufig deckt sie sich nicht mit dem Selbstverständnis der Person. Mohammed begann nun in Mekka zu missionieren, zunächst im engsten Familienkreis. Als ersten bekehrte er seinen Neffen Ali, ein Kind von zehn Jahren.

Schließlich suchte er eine breitere Öffentlichkeit. Er hielt wütende Predigten, bedrohte Wahrsager und Zauberer im Hof der Kaaba. Mohammeds Auftreten wirkte selbst im toleranten Mekka verstörend. Im Sommer 622 zog er schließlich in die Stadt Yathrib, wo sein islamischer Glaube Anklang gefunden hatte. Bald nannte man den Ort „Medinat en-Nebi", Stadt des Propheten oder Medina. Die Emigration bezeichnet man als „Hidschra". Sie ist der Beginn der muslimischen Zeitrechnung. In Medina rief Mohammed zum „Heiligen Kampf", dem Dschihad, gegen die Mekkaner auf. Dieser Kampf bestand zunächst aus blutigen Raubüberfällen auf Karawanen.

Im März 625 hatten die Mekkaner dazugelernt und besiegten Mohammeds Truppen beim Berg Ohod. In Medina wurde daraufhin eine Terrorherrschaft etabliert. Jeder Mann, der nicht zum Islam konvertieren wollte, wurde hingerichtet, seine Familie in die Sklaverei verbannt.

Der Islam als monotheistische Religion setzt sich durch

Sein Privatleben nahm skandalöse Züge an. Im Jahre 619 heiratete er insgesamt 14 Frauen, die „Mütter der Rechtgläubigen" genannt wurden. In der Öffentlichkeit mussten sie einen Schleier tragen, was später zur allgemeinen islamischen Sitte wurde. Für Aufsehen sorgte 621 die Hochzeit des über 50-Jährigen mit der erst neun Jahre alten Aischa. Eigentlich hatte er Aischa schon als Sechsjährige heiraten wollen, was der Vater unter Hinweis auf ihre „Zeit der Reife" gerade noch verhindern konnte.

Durch seine suggestive Beredsamkeit und vor allem das Versprechen auf ein Paradies nach dem Tode für alle rechtgläubigen Männer gewann Mohammed immer mehr Anhänger. 630 kapitulierte Mekka nahezu kampflos vor seinen Truppen. „Ab dem Jahre 631 gehörte der Polytheismus auf der arabischen Halbinsel endgültig der Vergangenheit an", so Schneider. Der Monotheismus, die Lehre von einem einzigen Gotte, habe sich durchgesetzt.

Als Mohammed sein Ende nahen fühlte, zog er aus dem ihm verhassten Mekka wieder nach Medina. Hier starb er am 8. Juni 632. Nach dem Tod Mohammeds eroberten muslimische Heere innerhalb von 100 Jahren ein gewaltiges Gebiet, das sich von Damaskus, über Ägypten bis hin zur Atlantikküste Afrikas erstreckte und sogar den Süden Spaniens erreichte. Erst der Frankenkönig Karl Martell brachte den Vormarsch der Araber zum Stillstand. Im Zuge der Islamisierung wurden 3200 Kirchen zerstört oder in Moscheen umgewandelt.

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Einen lebendigen und anschaulichen Vortrag zu den Anfängen des Islam hatte der Historiker Martin Schneider vorbereitet. Foto: Vesper

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Über drei Millionen Muslime reisen Jahr für Jahr nach Mekka um die Kaaba sieben Mal zu umrunden. Foto: CNN

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